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Das Heim als Schwerpunkt

Die Versorgung von Alleinstehenden

Sowohl die Zuwanderung in die Städte, als auch die kurzfristige Anwesenheit vieler Alleinstehender wurde zunehmend als wichtiges Problem betrachtet, vor allem in den gehobenen Gesellschaftskreisen. Im Gegensatz zu den meisten weiblichen Zuwanderern, die primär als Dienstmädchen eine passende Unterkunft bei ihren Arbeitgebern gefunden haben, waren die Unterbrin gungslage und die Ausgangsbedingungen für junge männliche Einwanderer viel eher problematisch. Etliche konnten zumindest vorübergehend Hilfe und Versorgung durch eine Zunft oder Gewerkschaft erhalten oder als Untermieter bei Verwandten und Arbeitskollegen wohnen. Aber die meisten waren vollkommen vom privaten Häusermarkt abhängig und mussten ihre Unterkunft in Gast- und Wirtshäusern oder in kostspieligen Herbergen finden. Die Gefahr der Ausbeutung war verhältnismäßig groß und das Fehlen von sozialen Kontrollmechanismen hatte negative Konsequenzen für die damalige Gesellschaft im Allgemeinen. Hohe Mietpreise und eine Überfüllung der Wohnungen waren durch die Aufnahme von Zimmermietern und Schlafgängern mit negativen Auswirkungen auf Arbeiterfamilien verbunden, besonders in den späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Die Kinder wurden von Klein auf ›an Liederlichkeit und Verkommenheit gewöhnt‹. Auch für die Reedereibesitzer und andere Wirtschaftsmänner hatten solche Probleme eine größere Bedeutung: Alkoholismus, Geschlechtskrankheiten und kriminelle Vergehen haben die Effizienz der Arbeiter unterminiert, das Auslaufen von Handelsschiffen verzögert und die Rentabilität des Geschäfts in Frage gestellt. Andere Gesellschaftsgruppen haben die Versorgung von Durchreisenden und Alleinstehenden in den Städten (besonders in den Hafenstädten) als eine wichtige Angelegenheit betrachtet, natürlich von ihrem eigenen Interessenstandpunkt aus gesehen. Für kirchliche Gemeinden war die Bereitstellung von Unterstützungsmaßnahmen, vor allem die Gründung von Heimen, eine Möglichkeit Seelen zu retten, jungen Leute zu schützen und Religionsunterricht zu verbreiten. Dementsprechend hat eine Reihe von Initiativen katholischer und protestantischer Kirchen in diesem Bereich natürlich ihre eigenen Interessen reflektiert. Für die Anhänger der Abstinenzbewegung zum Beispiel war die Etablierung von Gaststätten und Übernachtungsmöglichkeiten, in denen kein Alkohol ausgeschenkt wurde, ein konkreter Schritt, ihre gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. In solchen Fällen, in denen die städtischen Behörden eingegriffen haben, war der Grund hauptsächlich die Bewahrung öffentlicher Ruhe und Ordnung.
Was sofort auffällt ist die Tatsache, dass Übernachtungsheime von einer ganzenReihevongemeinnützigenGesellschaften,Philanthropen,kirchlichen
Institutionen und Fabrik- und Reedereibesitzern gegründet worden sind. In Deutschland hat die katholische Kirche insbesondere eine Reihe von Gesellenhäusern etabliert, die für alleinstehende Männer gedacht waren. Adolph Kolping hat die erste Phase des Kolpingwerkes (von der Gründung des ersten Gesellenvereins in Elberfeld 1846 bis zu seinem Tode am 4. 12. 1865) geprägt. Aber in diesen wenigen Jahren entstanden mehr als nur einfache Gesellenvereine. In vielen Fällen waren die Katholischen Gesellenhäuser bedeutungsvolle und vermutlich teure Einrichtungen, wie zum Beispiel in Dortmund, Duisburg und Nürnberg.
Aber auch in kleineren Städten wie Ingolstadt war die Einrichtung des Gebäudes auf den zeitgenössischen Bedarf abgestimmt und hat wohl jungen, wandernden Arbeitern eine familiäre Gemeinschaft und freundliche Heimstätte geboten.

Fast gleichzeitig hat die Protestantische Kirche »Herbergen zur Heimat« gegründet, hauptsächlich als Mechanismus, um junge Zuwanderer in den Städten zu schützen und aufzufangen. Für Fabrikbesitzer waren die Beweggründe möglicherweise anders, besonders in der Anfangsphase der Industrialisierung und in Gegenden, wo verlässliche Arbeitskräfte schwer zu beschaffen waren, wie die Beispiele der Ledigenheime in Bomlitz, das mit der Entwicklung der Pulverfabrik Wolf & Co. verbunden war, und in Gummersbach - als Folge der Ausdehnung der Chemie-Industrie – zeigen.
Aber auch die größeren Konzerne wie die I. G. Farben haben die Notwendigkeit relativ früh erkannt, firmenspezifische Ledigenheime zu gründen, um gute, alleinstehende Arbeitskräfte zu rekrutieren und unter entsprechender Kontrolle zu halten.
Auch die christlichen Jünglingsvereine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowohl in Deutschland als auch in England haben eingesehen, dass ihre Effektivität nur mit der Einrichtung von speziellen Heimen voranzutreiben war. In London hat der Deutsche Jünglingsverein schon 1872 die Deutsche Herberge (auch das ›German Home‹ genannt) am Finsbury Square eröffnet. Viel wichtiger war jedoch die spätere Entscheidung, berufsspezifische Heime zu gründen, die andere Einwanderungsgruppen aus Deutschland betreuen und ihnen helfen sollten. Im Jahre 1887 wurde das ›Christian Home for German Artisans and Bakers‹ geöffnet, das bald ein Angebot von 63 Betten hatte und gleich danach im Jahre 1892 ein Christliches Kellnerheim, das im Endeffekt nicht nur Unterkunft für deutsche Kellner in London bot, sondern auch als ein Genossenschafts- oder Vereinigungszentrum fungierte.
Vor dem Ersten Weltkrieg haben viele junge Kellner und Gastwirtsgehilfen aus Deutschland versucht, bessere Qualifikationen im Ausland, vor allem in Paris und London, zu erwerben, um ihre eigene Karriere voranzutreiben. Und das Christliche Kellnerheim (erst in der Clipstone Street und später in der Charlotte Street) war in dieser Hinsicht für viele Einwanderer sicher eine große Hilfe, besonders bei der Vermittlung von Arbeitsstellen. Ein Kellnerinnenheim wurde auch in Deutschland gegründet, ebenfalls mit einem Angebot von Unterkunft und berufsspezifischer Beratung. Regelmäßige Lotterien wurden veranstaltet, um Geldspenden für die Instandhaltung und Erweiterung einzutreiben.
Unter dem Einfluss von Richard Schirrmans Gedanken zu »Volksschülerherbergen« hat auch der Verband für Deutsche Jugendherbergen ab 1913 die Bereitstellung von billigen Übernachtungsmöglichkeiten für Durchreisende als ein wichtiges Ziel vorangetrieben. Aber die Jugendheime waren nicht nur in ländlichen Gebieten zu finden, sondern viel eher ein städtisches Phänomen. Einzelne Stadtverwaltungen haben gut ausgestattete Gebäude für diesen Zweck bereitgestellt. In England, wo die Youth Hostel Bewegung etwas später angefangen hat, war das Angebot von städtischen Heimen genau so wichtig wie in Merthyr Tydfill und Motherwell.
Die Herberge in der Great Ormond Street in London (im Jahre 1937 geöffnet und ziemlich schnell einfach ›Gosh' genannt) erwarb in wenigen Monaten einen internationalen Ruf.

Die Gründung von sogenannten Rowton-Häusern, zuerst in London und später in anderen englischen und europäischen Städten, war auch eine wichtige Reaktion auf die Probleme der Obdachlosen und Alleinstehenden. Montagu Corry, der erste Baron Rowton (1838-1903) war ein Politiker und ein Philanthrop, der seine eigenen Finanzmittel (£30.000) bereitgestellt hat, um billige Unterkünfte für alleinstehende Arbeiter anzubieten. Das erste Rowton-Haus mit 470 Betten wurde in Dezember 1892 in Vauxhall geöffnet und im ersten Geschäftsjahr wurden insgesamt 140.105 Schlafplätze an Durchreisende,
Arbeitssuchende und Alleinstehende vermietet. Zwischen 1896 und 1905 wurden fünf zusätzliche Übernachtungshäuser in verschiedenen Teilen Londons von der Rowton Houses Ltd. mit einer Gesamtkapazität von über 4.200 Betten gebaut (in King's Cross, Newington, Hammersmith, Whitechapel und Camden Town). Sogar Joseph Stalin hat 1907 zwei Wochen lang im Tower-Haus Whitechapel ein Bett gemietet. Eine ähnliche Herberge wurde 1903 in Birmingham von der selben Gesellschaft gebaut und das Modell von anderen Vereinen in Liverpool, Newcastle, Mailand und München übernommen.
In Liverpool zum Beispiel, wo ungefähr 14.000 Männer jede Nacht eine Unterkunft aufgesucht haben, hat das Bevington-Haus nach der Eröffnung im Jahre 1900 fünfhundert Betten angeboten. Solche Einrichtungen waren nicht nur als eine mögliche Lösung der zeitgenössischen Unterkunftsprobleme gedacht: In den meisten Fällen wurden diese Herbergen auch als gewinnbringende Geschäfte geführt.

Das katholische Gesellenhaus in Duisburg und das katholische Gesellenhaus in Ingolstadt

Das Ledigenheim Gummersbach

Das Ledigenheim Bomlitz

Das christliche Kellnerheim in London