Die Gründung von Seemannsheimen
Viel wichtiger, besonders in Hafenstädten, war jedoch die Errichtung von Seemannsheimen. Gerade in Hafenstädten waren, wie schon betont wurde, die Versorgungsprobleme von Alleinstehenden und Durchreisenden am größten. Der Seehandel was damals arbeitsintensiv, die Zahl der Seeleute in jedem Anlaufhafen obwohl saisonbedingt war beträchtlich, die Zeit an Land war in verschiedenen Fällen ziemlich ausgedehnt und die Kaufkraft der Seemänner, besonders nach einer langen Reise, war ohne Zweifel bedeutend. Die meisten Häfen hatte ein sogenanntes Sailortown', das als ein Zentrum für das Leben am Land diente. In Baltimore war ›The Block‹ bei allen Seeleuten weltweit bekannt. St. Pauli war, zumindest bis 1939, one great web of predatory spiders' mit zahlreichen Biergärten, Tanzhallen und Kneipen. Liverpool konnte fast auf jeder Straße einen Gin-Palast oder eine Kneipe anbieten und die Trinkmöglichkeiten – watering holes' – und Badeanstalten in Yokohama waren bei ausländischen Seemännern sehr beliebt.
Schon am Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Versuche unternommen, sowohl in den USA, als auch in England, billige und gesicherte Übernachtungsmöglichkeiten für Seeleute anzubieten. Die allgemeine Entwicklung von Versorgungsmaßnahmen für Seemänner ist wohl bekannt, aber einige Punkte sind dennoch bemerkenswert. Erstens war die Ausdehnung von Seemannshäusern im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts imponierend, obwohl zeit- und länderspezifisch differenziert. In London zum Beispiel, wurde das erste Seemannsheim schon 1835 gegründet. Aber im Laufe der Zeit stieg das Angebot der berufsspezifischen Übernachtungsmöglichkeiten erheblich mit der Etablierung von neuen Seemannsheimen in anderen Teilen des ausgedehnten Hafengebietes wie in Poplar, Well Street (ursprünglich 1835 geöffnet unter der Leitung der Methodist Mariners' Church) und Lime House, wo der Palast der Seeleute' von Seiten der Britischen und Ausländischen Seefahrergesellschaft geleitet wurde.
Eine öffentliche Versammlung in Liverpool mit Vertretern von verschiedenen Reedereien und anderen Wirtschaftszweigen hat im Jahre 1844 beschlossen, Finanzmittel für die Gründung eines Seemannsheims einzusammeln. Die Ziele dieser Initiative wurden festgelegt und von allen Teilnehmern angenommen. Der Grundstein wurde von Prinz Albert schon im Juli desselben Jahres feierlich gelegt.
Königin Viktoria hat dazu bemerkt, dass mindestens 8.000 Menschen bei der Feierlichkeit anwesend gewesen waren - unter Begleitung von 20 Musikkapellen.
Das Gebäude, von dem berühmten Architekten John Cunningham entworfen, war im Endeffekt ›a palatial lodging house‹ – ein palastartiges Fremdenheim, und auch das spätere Seemannsheim, das im Jahre 1878 als eine Zweigstelle im nördlichen Hafenbereich gebaut wurde, war ohne Zweifel eine substantielle Einrichtung.
In Bombay (Mumbai) war das Royal Alfred Sailors' Home, im Jahre 1872 im gotischen Stil nach dem Entwurf von Frederick William Stevens (1847- 1900) gebaut, eine ziemlich luxuriöse Herberge' mit feinen Skulpturen von John Lockwood Kipling, dem Vater von Rudyard Kipling, der damals eine Stelle als Professor für Baukunst-Skulptur inne hatte.
Die räumliche Größe und baukünstlerische Ausführung dieser Seemannsheime waren jedoch keine Ausnahmen. Auch in anderen Hafenstädten wie in Kalkutta (Kolkata), Dundee (1881 gebaut) und Leith (1885 geöffnet) hat man wohl versucht, die Versorgungsprobleme der Seemänner richtig zu erkennen und ein passendes Heim zu erbauen.
Diese Heime haben den Seemännern eine bestimmte Sicherheit und eine billige Übernachtungsmöglichkeit geboten. Auch Ledigenheime, die in Großstädten von verschiedenen Bauvereinen und gemeinnützigen Gesellschaften erbaut worden waren, hatten manchmal eine ähnliche Gestaltung. Sowohl im Berliner Tiergarten, als auch in Stuttgart-Ost in der Villastrasse 21 waren die Ledigenheime verhältnismäßig groß angelegt und mit vielen Einrichtungen ausgestattet.
Das Berliner Ledigenheim in der Danckelmannstrasse 46-47, von dem Charlottenburger Baurat Rudolf Walter im Jahre 1908 unter der Leitung des Trägers Volkshotel AG Ledigenheim gebaut, war der erste Versuch in Deutschland ein Arbeiterwohnheim zu eröffnen, das seinen Bewohnern anstelle der bislang üblichen Unterbringung in kargen Schlafsälen den Luxus von Einzelzimmern anbieten konnte. Das Unterkunftshaus war in erster Linie für unverheiratete, junge Männer gedacht, die sonst auf Schlafstellen angewiesen waren. Das Ledigenheim in Stuttgart-Ost wurde 1910-1912 von dem erfolgreichen Architekten Karl Hengerer (1863-1943) fertiggestellt, der eine ausschlaggebende Rolle bei der Konzipierung von gemeinnützigen Wohnungen in Stuttgart um diese Zeit gespielt hat. Die Heime oder Herbergen in anderen Fällen waren dem gegenüber bescheiden und dürftig. In Kriegshäfen wie Wilhelmshaven und Portsmouth war der kommerzielle Seehandel relativ unbedeutend, zumindest vor dem Ersten Weltkrieg und die Nachfrage nach gesicherten Übernachtungsmöglichkeiten außerhalb des Flottenstützpunktes nicht bedeutend: folglich waren die Seemannsheime entsprechend klein.
Auch andere Organisationen, insbesondere die Kirchen und die Reedereien, haben Seemannsheime gegründet. Aber diese Initiativen waren fast in jedem Fall von Finanzierungsbeschränkungen begrenzt. Erst im Jahre 1903 etablierte die Skandinavische Seemannskirche in Liverpool ein eigenes Heim, hauptsächlich als Reaktion auf die Anregungen von Seiten der Gesellschaft für Skandinavische Seemannsheime in fremden Häfen. Aber das gemietete Gebäude am Great George Square konnte nur zwischen 16 und 20 Betten anbieten, ein Angebot das auch damals schon als vollkommen unangemessen betrachtet wurde. Zum selben Zeitpunkt haben jährlich über 2.000 Landsleute, hauptsächlich Seefahrer, die Finnische Seemannsmission in London besucht, aber das Missionspersonal war nur in der Lage, Unterkunftsmöglichkeiten in anderen Teilen des Hafengebietes, vor allem in Lime House, zu empfehlen. Trotzdem war die Ausdehnung von Übernachtungsheimen am Endes des 19. Jahrhunderts bedeutend. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es Seemannsmissionen und damit verbundene Heime fast überall in den größeren Hafenstädten. Deutsche Seeleute konnten sich auf die Hilfe von kirchlichen Missionen in 11 Ländern oder Kolonien verlassen und Seemannsmissionen, entweder von kirchlichen Gemeinden oder nationalen Gesellschaften geführt, existierten in fast der Hälfte aller Häfen in Schottland, d.h. in 15 von 31 Häfen.
Das Seemannsheim in Liverpool, 1846
Informationsschild des Seemannsheimes in Liverpool, Blick in das Seemannsheim in Liverpool und Hauptportal des Seemannsheimes in Liverpool
Sailors ́ Home Liverpool, Grundriss
Royal Sailors ́ Home, Portsmouth, 1855
Royal Alfred Sailors ́ Home, Bombay – Mumbai