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Licht und Luft

Wohnungsbau und Stadtentwicklung nach 1900

Bereits in den Jahren nach der Choleraepidemie 1892 entwickelte sich in Hamburg eine intensiv geführte Diskussion um die Qualität der Stadt- und Wohnräume, die bis dahin durch die wirtschaftlichen Interessen einer zunehmend wachsenden Stadt mit steigendem Bedarf an Wohnungen beherrscht wurde (vgl. Harms/Schubert 1998, S. 31). Das Baupolizeigesetz von 1882 und dessen Novelle von 1893 ermöglichten dabei die maximale Ausnutzung der Grundstücke mit der Folge einer reduzierten Belichtung und Belüftung durch Schlitze und Höfe. Aus Gründen der besseren Wirtschaftlichkeit beim Bau von größeren Wohnungen im Vergleich zu kleineren wurde der Markt der Neubauten durch profitable Großwohnungen dominiert, obgleich eigentlich Bedarf an kleinen und günstigen Wohnungen für die wachsende Arbeiter- klasse bestand. In der Konsequenz bedeutete dies, dass es zur Vermietung von zu großen Wohnungen an mehrere Parteien gleichzeitig kam. Neben den nach der Choleraepidemie aufkommenden Hygienefragen entwickelte sich eine Diskussion um bedarfsgerechte Wohnungsgrößen. Es begannen Überlegungen, welche zu einer Reform der Wohn- und Lebenssituation führten, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in mehreren Parallelbewegungen stattfand (vgl. Harms/Schubert 1998, S. 31). Im Rahmen der Wohnungsre- formbewegung, der Bodenreformbewegung, der Gartenstadtbewegung und auch der Baugenossenschaftsbewegung gab es Auseinandersetzungen um die Verbesserung von Wohnraum durch die Veränderung von Grundrissen, aber auch um die Reform der Stadtstruktur. Diese Bewegungen sind allerdings unter dem Vorbehalt zu betrachten, dass bis zum Ersten Weltkrieg die Wohnungsproduktion weitestgehend in privater Hand lag. Neuerungen wurden so verabschiedet, dass sie dem Interesse nach Gewinnmaximierung nicht entgegenstanden. Unter den oben genannten Reformbewegungen war die der Baugemeinschaften und Baugenossenschaften wahrscheinlich die einflussreichste. Es gab jedoch auch Industrie- und Handelsunternehmen die an neuen Strukturen im Wohnungswesen interessiert waren. Ihnen war an Betriebs- und Werkswohnungen gelegen, u. a. zur Förderung von Nach- wuchskräften und der emotionalen Bindung der Arbeiter an den Arbeitgeber (vgl. Nörnberg/Schubert 1975: 96).
Auf der anderen Seite bildeten sich gemeinnützige Baugenossenschaf- ten, z.B. die aus der Arbeiterklasse entstandene »Schiffszimmerer Genossenschaft« oder der »Altonaer Spar- und Bauverein«. Sie entwickelten sich parallel zu den vorgenannten Bauträgern, mit dem Ziel, den steigenden Bedarf an kleinen und günstigen Wohnungen für die Arbeiter zu decken.

Der Wohnungsbau der Genossenschaften zeichnete sich insbesondere durch folgende Merkmale aus:

• Der Wohnungsbau war nicht primär auf Profit ausgerichtet durch den Erwerb relativ günstigen Baulandes, welches häufig in der Nähe der Arbeitsstätten lag;
• geschlossene Bauweisen (Blockstrukturen) und Schaffung von Gemeinschaftseinrichtungen, Sozialräumen, Waschräumen, etc.,
• Ausrichtung aller Wohnräume zur Straße hin, sowie ...
• Vermeidung von Hinterhof- und Schlitzbauten. (vgl. Funke 1974, S. 97).

Die Baugenossenschaften strebten mit diesen Vorsätzen den Bau von guten und preisgünstigen Wohnungen für ihre Mitglieder an. Dennoch blieb die genossenschaftliche Bautätigkeit bis zum Ersten Weltkrieg ohne größere Bedeutung. Ihr Anteil am gesamten Hamburger Wohnungsbau belief sich zur Jahrhundertwende auf gerade einmal fünf Prozent
(Harms/Schubert 1998, S. 32). Eine entscheidende Wende auf dem Hamburger Wohnungsmarkt entwi-
ckelte sich mit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Während des Krieges und der Nachkriegszeit mangelte es an Material und Kapital für den Bau neuer Wohnungen. Wegen des Kohlemangels konnten weder Ziegel noch Zement hergestellt werden und vom Krieg heimkehrende Soldaten, die Wohnraum zur Familiengründung suchten, verschärften die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Um die Aufnahme der Bautätigkeiten zu unterstützen, blieb der Stadt nur der Weg, diese mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Für eine geregelte Zuteilung von Krediten bot sich die bereits 1914 für Handel und Gewerbe gegründete »Hamburgische Beleihungskasse« an (vgl. Funke 1974, S. 115). Zu Beginn wurden die hierfür benötigten Finanzmittel vom Reich der Stadt Hamburg zugewiesen. Als jedoch Anfang der 1920er-Jahre die Kosten durch die staatlichen Kassen nicht mehr zu tragen waren, führte man 1924 das Instrument einer Hauszinssteuer ein, eines Zuschlages zur Grundsteuer für Hausbesitzer (vgl. Funke 1974, S. 115), die als Gegenleistung für die Einnahmen aus Wohneigentum und als Abgabe für die Allgemeinheit gesehen wurde. Die Abhängigkeit der Bauherren von den Beleihungskassen bot erst- mals die unmittelbare Möglichkeit der Einflussnahme durch den Staat in dem von Terraingesellschaften und privaten Bauunternehmern dominierten Wohnungsbau. Öffentliche Interessen im Hinblick auf Bau- und Wohnungsformen konnten nun an diejenigen herangetragen werden, die zuvor noch mit stereotypen Grundrissen gewinnoptimierte Gebäude hatten bauen lassen.
1918 wurde eine neue Bauordnung sowie eine Reform der bestehenden Bebauungspläne verabschiedet (vgl. Harms/Schubert 1998, S. 34), durch die vor allem neue städtebauliche und wohnungspolitische Ziele erreicht werden sollten. Diese waren insbesondere:

• Besser durchlüftete Wohnungen und Schaffung freundlicher Innenhöfe,
• Zusammenfassung von Grundstücken zu Baublöcken um eine architektonisch und städtebaulich befriedigende Wirkung zu erzielen,
• Förderung des Baus kleiner Wohnungen,
• Verhinderung der Schlitzbauweise.

Eine bedeutende Rolle in diesem Zusammenhang spielte Fritz Schumacher, der von 1909 bis 1933 als Baudirektor in Hamburg für die Planung des Stadt- und Wohnraumes verantwortlich war. Er kritisierte schon früh den lichtarmen, in die Länge gezogenen »Sündenbau«, wie er den Schlitzbau nannte, und forderte mit der Bauordnung eine Reform, die bis zu einer vollständigen Neuplanung von Stadtteilen reichen sollte. Fritz Schumacher war es wichtig, dass durch diese Reform keine Mietsteigerungen verursacht wurden (vgl. Harms/Schubert 1998, S. 35). Er forderte und förderte den gemeinnützigen Wohnungsbau:
»Man wird die Lebensformen der Zukunft [...] nicht erreichen können, ohne dass wir den baulichen Egoismus [...] überwinden und an seiner Stelle ein Gemeingefühl entwickeln, das sich keine künstlerischen Ziele vorstellen kann, die nicht zugleich Ziele der Gemeinschaft wären.«
(Schumacher 1938 [1956], S.290) Die vor dem Ersten Weltkrieg wenig beachteten und verhältnismäßig un-
bedeutenden genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen gewannen in diesen Jahren zunehmend an Bedeutung, hatten sie doch die nun geforderten Konzepte für eine Verbesserung der Wohnqualität bereits jahrzehntelang entwickelt und umgesetzt. Im Jahr 1898 wurde vom »Bau- und Sparverein zu Hamburg« ein Wettbewerb ausgelobt, welcher den Entwurf eines Etagenhauses für Arbeiter zum Ziel hatte (vgl. Harms; Schubert 1998, S. 181). Der hieraus als Gewinner hervorgegangene Entwurf, die von dem Architekten Rzekonski entworfene und durch seinen Kollegen Just weiterentwickelte ›Hamburger Burg‹, setzte neue Maßstäbe für den Etagenwohnungsbau. Dieser wurde im Jahr 1900 auf der Weltausstellung in Paris erneut prämiert. Charakteristisch für diese Bauform sind größere Ge- bäudekomplexe mit einer teilweise zurückversetzten Fassade, die so einen dreiseitig umschlossenen Hof entstehen lässt, der zur Straße hin offen ist. Somit erhält jede Wohnung zur Verbesserung der Belichtung und Belüftung ein Vorderfenster bei gleichzeitig guter Grundstückausnutzung. Die erste ›Hamburger Burg‹ wurde im Jahre 1899 am Stellinger Weg/Ecke Methfesselstraße errichtet. Im Laufe der Zeit folgten weitere, z.B. der Schleidenhof und in der Wohldorferstraße in Barmbek-Süd.
Während gemeinnützige Baugenossenschaften ihren Mitgliedern zu kos- tengünstigen Wohnungen verhelfen wollten, entwickelte sich parallel dazu eine hochwertige Baukultur. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Wohnungsbau vor allem durch Bauunternehmer und Bauhandwerker ausgeführt, dies änderte sich später, sodass in den 1920er-Jahre ein Wirkungskreis für Architekten in der Stadtplanung und im Entwurf von Geschosswohnungsbauten entstand. Bedeutende Architekten, die sich an diesen Bauaufgaben in Hamburg beteiligten, waren u.a. Karl Schneider, Fritz Höger, Hans und Oskar Gerson. Der nach dem Ersten Weltkrieg aufkommende Wunsch nach Dezentralisierung, Auflockerung, Licht, Luft und Sonne fand so auch im Wohnungsbau Einzug und des entstanden Quartiere und Ensembles von Backsteinwohnblocks in traditioneller Bauweise oder auch in expressionistischem Stil.
Es bleibt festzuhalten, dass erst aufgrund der gesetzlichen Veränderungen durch die Bauordnung von 1918 sowie einer umfangreichen Reform im Wohnungsbauwesen und der Stadtplanung dem Neubau von Schlitzbauten die rechtliche Grundlage entzogen wurde. Dies war nicht zuletzt der Abhängigkeit vieler Investoren von staatlicher Unterstützung geschuldet, welche zur Einhaltung dieser Regeln verpflichtete.

Das alte Gängeviertel, Rademachergang