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Das Zuhause heute

Die aktuelle Situation und Nutzung

Bis ins Jahr 2000 lebten in der Rehhoffstraße 120 Männer. Heute sind es nur noch 75 Männer, von denen die jüngsten um die dreißig Jahre alt sind. Ungefähr zwei Drittel der Bewohner sind bereits über Fünfzig, wobei die Hälfte schon im Rentenalter ist, ein Umstand, der die Situation des Ledigenheims gravierend verändert und eine Neuorientierung hinsichtlich der Bedürfnisse älterer Menschen erfordert.
Im Gegensatz zu früher, als die Aufenthalte der Männer im Haus und in Hamburg berufsbedingt eher die Ausnahme und meist kurz waren, sind die Herren heute, bedingt durch den allmählichen Übertritt ins Rentenalter täglich im Haus und werden in Zukunft aufgrund zunehmender altersbedingter Einschränkungen immer mehr an das Haus gebunden sein. Spielte sich der Alltag der meisten Männer früher draußen ab, so verbringen heute schon einige den Großteil ihrer Zeit im Haus bzw. in ihren Zimmern und erledigen dort auch ihre alltäglichen Verrichtungen.
Die Veränderungen in der Umgebung, wie beispielsweise die Einschnitte in der Nahversorgung, erschweren das Leben dieser älteren Männer. Auch die Treppen des fünfgeschossigen Hauses bereiten einigen der Bewohner bereits heute große, körperliche Schwierigkeiten. Insgesamt entsprechen die Räumlichkeiten in der Rehhoffstraße nicht den Bedürfnissen älterer Menschen. Duschen und Toiletten sind zum Beispiel sehr eng, ohne Haltegriffe ausgestattet und nicht barrierefrei zugänglich.
Durch die Veränderung in der Verwaltungsstruktur hat sich die Situation für die älteren Bewohner der Rehhoffstraße zunehmend verschlechtert. Früher war es in Absprache mit dem Pförtner möglich, unkompliziert ein Zimmer zu wechseln, wenn einem das Treppensteigen zu anstrengend wurde und man in eine andere Etage ziehen wollte. Mit der Veränderung der Verwaltungsstruktur bekam man bei solch einem Zimmerwechsel automatisch einen neuen Vertrag angeboten, was z.B. mit Mieterhöhungen einherging und daher von den Bewohnern nicht mehr in Anspruch genommen wurde. Hinzu kommt, dass es im Haus keine Gegensprechanlage und keinen Summer gibt, um vom Zimmer aus Besuch in das Haus zu lassen. Dies ist ein Problem, seit der Pförtner, dem diese Aufgabe ursprünglich oblag, nur noch selten vor Ort ist.
Bedenkt man in diesem Zusammenhang zudem, dass das Älterwerden mit einem steigenden Sicherheitsbedürfnis einhergeht, versteht man, dass die Unsicherheit im Haus durch die ungeklärten Verhältnisse verstärkt wird. Die im Alter auftretenden Herausforderungen wie die Veränderung der Seh- und Fingerfertigkeiten, die Abnahme der Mobilität und die daraus resultierende
Gefahr der Vereinsamung werden zusätzlich verstärkt durch die strukturelle Veränderung des Hauses, den Abbau der Serviceleistungen und den Wegfall der Gemeinschaftsräume. So kam es in den letzten Jahren zu mehreren Krankheits- und Todesfällen bei stark zurückgezogen lebenden Menschen, die früher durch die regelmäßigen Besuche der Haushaltsdamen oder des Pförtners verhindert worden wären.
Die im Ledigenheim früher vorhandene sensible und auch aktive Solidargemeinschaft hat in den letzten zehn Jahren stark gelitten. Man lebt heute teilweise zurückgezogen und verunsichert. Das Haus war schon immer durch sehr individualistische Bewohner geprägt. Dies beförderte als Kehrseite aber auch die Gefahr der sozialen Isolierung. Zudem nehmen die Flexibilität sich auf neue Menschen einzustellen und die Möglichkeiten sich gegenseitig in herausfordernden Lebenslagen zu helfen mit zunehmenden Alter ab. Dieser Umstand macht die Situation im Haus noch prekärer. Auch sind durch die gesellschaftlich veränderte Auffassung des Normalen, beispielsweise der Beruf des Seemanns und diese Wohnform, die früher zur gesellschaftlichen Normalität gehörten, heute zu gesellschaftlichen Randerscheinungen geworden. Davon zeugt auch die mangelnde soziale Anbindung des Hauses an sein Umfeld, bzw. des Umfeldes an das Haus. War das Ledigenheim früher eines von vielen, stellt es heute eine absolute Ausnahme dar. Dies hat auch viel mit den Veränderungen des Hafens und des Viertels als Ganzes zu tun.
Mit dem Strukturwandel in Hafen und Seefahrt ging der Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten zunehmend der Nachwuchs an Menschen mit dieser gemeinsamen Erfahrungsgrundlage verloren. Ins Haus zogen immer mehr Männer mit sehr unterschiedlicher Erfahrungen ein. Zunächst waren es »Spezialarbeiter«, Facharbeiter oder Monteure, denen das Leben im Haus aus ähnlichen Gründen entgegen kam wie der »Stammbesatzung«. Einige der Altbewohner beklagen bereits ab dieser Zeit die fehlende Solidarität, das fehlende Sozialverhalten und die mangelnde Anpassungsfähigkeit der neu Hinzuziehenden. Neben der Tatsache, dass die Hausgemeinschaft im Laufe der Zeit ganz eigene Strategien entwickelt hat, um unliebsame Mitbewohner loszuwerden, funktioniert die Wohnform, wie sie in der Rehhoffstraße vorliegt, nur wenn Menschen freiwillig einziehen und sich in die Hausgemeinschaft integrieren. Und so blieben nur jene, denen diese Wohnform entgegenkam und die gerne hier wohnten. Trotz der Neuzuzüge ist es, parallel zum gesamtgesellschaftlichen Wandel, auch im Haus zu einer schleichenden Überalterung gekommen.

Die Probleme verschärften sich durch die häufigen Eigentümerwechsel und die im weiteren Verlauf veränderte Vermietungspraxis. Zwischen 2000 und 2009 vermietet nicht mehr - wie 90 Jahre lang – der Pförtner die Zimmer, sondern eine externe Hausverwaltung. Die Vermietung erfolgte somit erstmals in der Hausgeschichte über die Köpfe der bestehenden Hausgemeinschaft hinweg. Die neue Verwaltung vermietet ohne Berücksichtigung der sozialen Strukturen, Bedürfnisse und Lebensweisen der Hausgemeinschaft und der Hinzuziehenden; zuletzt mit befristeten Verträgen. Seitdem wird von außen und ohne Kenntnis der Verhältnisse darüber entschieden, mit wem man seine intimsten Räume teilt. Im Haus teilen sich je 30 Bewohner eine Dusche, vier Toiletten und eine 7 m2 Küche. Gleichzeitig wurden die Gemeinschaftsräume abgeschafft. Und das bei dieser besonderen Wohnform, bei der man wenig Rückzugsraum hat und es besonders wichtig ist, umsichtige Mitbewohner zu finden. Leer werdende Zimmer wurden außerdem an dringlich Wohnungssuchende vermietet.
So zogen zwangsläufig auch Menschen ein, die jene für diese Form des Zusammenlebens notwendige Freiwilligkeit und die notwendigen sozialen Fähigkeiten nicht mitbrachten, was wiederum zu Rückzug und Unzufriedenheit der meisten Beteiligten beitrug. All dies belastet die Bewohner stark und führt zu zusätzlicher Verunsicherung, Konflikten und einer Gefährdung der Hausgemeinschaft.
Neu eingezogene Bewohner brachten andererseits ganz neue Lebenswirklichkeiten und Auffassungen ins Haus und ergänzten insofern die Hausgemeinschaft positiv. Dies war auch der Offenheit und Toleranz der vorhandenen Solidargemeinschaft zu verdanken, die in der Lage war, sich auf unterschiedlichste Lebenswirklichkeiten einzulassen. Dadurch konnten in den letzten 10 Jahren eine Reihe von Menschen sozial aufgefangen werden und ein neues Zuhause finden. Einige dieser Männer leben mittlerweile schon fünf bis zehn Jahre im Haus. Diese Gruppe macht heute etwa ein Drittel der Hausgemeinschaft aus.
Die neue Verwaltungsstruktur und die neue Vermietungspolitik dagegen haben nachhaltige Probleme geschaffen, die trotz der großen Offenheit einiger Altbewohner und neu Zugezogener nicht zu bewältigen waren. Das hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass der Einzug ins Ledigenheim für viele neue Bewohner der einzige Ausweg aus der Obdachlosigkeit oder anderen schwierigen Lebensumständen war. Für diese neuen Bewohner stellte das Leben in dieser Wohnform und dieser Enge mitunter eine große Belastung dar, insbesondere da einige von ihnen viel Zeit auf ihren Zimmern verbringen.
Die zum Teil große Unzufriedenheit etlicher neuer Bewohner wirkte sich negativ auf das Klima im Haus aus. Der fehlende positive Bezug der »Gestrandeten« zum Haus führte zu Übergriffen auf Mitbewohner und zur Vernachlässigung von Äußerlichkeiten. Regelmäßig kam es zu Diebstählen, körperlichen Auseinandersetzungen, Bedrohungen und Beschmutzungen. Zusätzlich traten vermehrt Probleme wie Alkoholismus und Drogensucht auf.
Die Bewohner mussten sich über das Erwirken von Abmahnungen und Strafanzeigen oder indem sie sich körperlich zur Wehr setzten vor ungeeigneten Kandidaten schützen. Für einige der Bewohner war der Zustand nicht mehr zu ertragen. Sie zogen aus und ihre Zimmer wurden neu vermietet: ein Teufelskreis.
Die neue Vermietungspolitik äußerte sich auch darin, dass 2005 ein Vermietungsstopp verhängt wurde, so dass es erstmals in der einhundertjährigen Geschichte des Ledigenheimes zu einer Entmietung des Hauses gekommen ist. Eine Verschärfung der Wohnsituation fand dadurch statt, dass die Hausverwaltungen in den letzten Jahrzehnten die Serviceleistungen auf ein Minimum reduziert und dringend notwendige Instandhaltungs- und Renovierungsarbeiten seit zwanzig Jahren nicht mehr vorgenommen hatten. 2007 wurden einmalig zehn neue befristete Verträge ausgegeben. Kurze Zeit später, 2009, wurde das Haus an einen dänischen Investor verkauft.
Seit März 2012 hat sich die Situation im Ledigenheim erneut verschärft. Der Eigentümer hat nach Ablehnung seiner Umbaupläne wieder damit begonnen, einzelne Zimmer zu vermieten, diesmal unmöbliert, faktisch ohne Serviceleistungen und jeweils als eigene Wohnung mit Hamburger Mietvertrag, für 250 Euro für 8 m2 – das sind 31 Euro pro m2. Die neu eingezogenen Bewohner wohnen in den Zimmern zum Teil zu mehreren und schlafen in der Regel notdürftig auf dem Fußboden. Wie auch beim Vorgänger wird wieder an Marginalisierte und Menschen in schwierigen Lebenslagen vermietet, und das ohne medizinische oder soziale Betreuung, die früher durch das Haus selbst oder durch den Staat sichergestellt wurden. »Versuchsweise« ist die Bewohnerschaft seit März innerhalb einer Woche von 50 Personen auf ca. 75 Personen aufgestockt worden. Ein solcher Bewohnerzuwachs mit den vielschichtigen Problemen, welche die neuen Mieter mitbringen und die in der Gemeinschaft schon bestehen, lässt sich für die Hausgemeinschaft kaum verkraften. Mit dieser Vermietungspolitik verknüpft sich in ungünstiger Weise die Struktur unseres Sozialsystems. Die Behörden zahlen ihren Klienten die hohe 250-Euro-Miete für die 8m2-Kammern – aus Unternehmersicht ein gutes Geschäft. Dem Engagement der Mieter für eine Verbesserung der Wohnverhältnisse wirkten die Behörden aktiv entgegen, etwa indem sie bei versuchten Mietkürzungen unbeirrt die volle Miethöhe überwiesen. In anderen Fällen wurden die Kosten für die Mitgliedschaft in den Hamburger Mietervereinen, trotz bestehender Vereinbarung zwischen der »Behörde für Soziales und Familie« und den Mietervereinen, zunächst nicht übernommen. In der Ablehnung des Jobcenters hieß es hierzu: »In Ihrem Fall erfolgt der Beratungsanspruch auf Eigeninitiative und ist somit aus ihrer Regelleistung zu zahlen.«
Die derzeitige Situation ist ein Beleg dafür, dass wirtschaftliche Interessen die Vermietungs- und Verwaltungsstruktur im Haus verändert haben und mangelnde Kenntnisse bezüglich der Wohnform Ledigenheim und der Lebenswirklichkeiten der Männer eine gespaltene Bewohnerschaft haben entstehen lassen.

Ornament am Eingang des Ledigenheimes

Garten vor dem Ledignheim

Blick in eine Kammer (Video-Stills aus Panorama-Beitrag vom 21.06.2011)

Ein Bewohner zuhause (Video-Stills aus Panorama-Beitrag vom 21.06.2011)

Ein Bewohner bei den Landungsbrücken